Theodor-Fontane-Freundeskreis M/V – Kloster Dobbertin
Mitglied in der Theodor Fontane Gesellschaft e.V.
       


 


Fontane ist eine „Marke“ !

Mit dieser überraschenden Behauptung leitete Dr. Gotthard Erler¹ seinen Vortrag ein – und er blieb seiner zahlreichen Zuhörerschaft den Beweis dafür, dass Fontane verkaufsfördernd wie ein guter Markenname zu sein scheint, durchaus nicht schuldig. Sei es der wirklich extraordinäre Verkaufspreis des „Ribbeck“-Manuskriptes vom Sommer 1889 (100.000,00 € über Schätzpreis), sei es die „Fontane-Festwoche“, die man in Neuruppin plant, seien es die nunmehr fünf Verfilmungen der „Effi“² – Vita und Werk des märkischen Romanciers haben seine Leser immer wieder fasziniert. Und seit einigen Jahren zeichnet sich eine Renaissance ab, die Fontane-Freunde mit Genugtuung zur Kenntnis nehmen. Nun also „die Ärzte und die Apotheker“ – und, wie unser Referent anmerkte, auch Fontane als „Hausarzt“ seiner Familie.

Zunächst lud uns Gotthard Erler auf eine Reise zu den Lebensstationen des Apothekersohns Theodor Fontane auf dem Weg zum Apotheker ein. Zu einem Vater, der dem Sohn wohl eine Ausbildung ermöglicht hatte, ihm aber keine Apotheke mehr hinterlassen konnte, zu verschiedenen Ausbildungs- und Arbeitsorten wie der Schacht’schen (der Polnischen) Apotheke in der Berliner Friedrichstraße, mit deren zweitem Lehrling Friedrich Witte ihn eine lebenslange Freundschaft verbinden sollte, oder dem Krankenhaus Bethanien. Pharmazeutisch sehr wohl gut ausgebildet, litt der literarisch ambitionierte junge Apotheker jedoch viele Jahre darunter, eben doch kein Mediziner zu sein. So hören wir von „Giftmischer“ und „Giftbude“ – er ironisiert seine medizinische „Halbbildung“ zeitweise nicht ohne Bitterkeit.

Fontanes profunde Kenntnis der zu seiner Zeit bekannten Medikamente und ihrer Wirkungen, aber auch ihrer Grenzen beeinflussten sein Verhältnis zum Ärztestand. Wohl konsultierte er sie – doch ihre Empfehlungen nahm er nicht immer an. Dieses gebrochene Verhältnis hatte jedoch ein lebenslanges Interesse an Ärzten, an medizinischen Sachverhalten und Selbstbeobachtungen – und an hygienischen Absonderlichkeiten seiner Zeit zur Folge, die oft genug Eingang in Briefe und Essays fanden. Gotthard Erler nannte hier die vielfach dargestellte Fontane’sche Angst vor Zugluft, die köstliche Beschreibung seines missglückten Versuchs, einer Wagner-Aufführung in Bayreuth beizuwohnen - und die vielen Beschreibungen der gewissen „Örtchen“, die Fontane auf seinen Reisen kennen und fürchten gelernt hatte.

 

Wäre ich jünger und frischer und machte mir überhaupt noch was Spaß, so würd’ ich ein Feuilleton schreiben „Das Örtchen“ und den vollkommen richtigen, durchaus nicht übertriebenen Satz durchführen „jeder Ort in Deutschland scheitert am Örtchen“. (19. Juli 1884 aus Krummhübel an seine Frau)

Aber zur medizinischen Faszination gehören wohl vor allem die vielfach überlieferten „Ferndiagnosen“ des Vaters und Ehemanns Theodor Fontane. Denn als „verhinderter Mediziner“ wirkte er oft selbst fast als Hausarzt seiner Familie, wie Briefzeugnisse an seine Kinder Friedrich und Mete, vor allem aber an Emilie belegen. Überwiegt im Fall der Tochter Verständnis für ihre Probleme, geht Fontane, dem wir so viele einfühlsam beschriebene Frauengestalten verdanken, mit den medizinischen Malaisen seiner Frau nicht eben charmant um:

 

Daß Du zu vielem Andren nun auch noch allerhand Körperschmerzen zu tragen und nicht mal nächtliche Ruhe hast, thut mir in der Seele weh und glaub’ ich wohl, daß Dir meine doctornde Geduldshand dabei manch liebes Mal gefehlt haben mag. Wie gewöhnlich wirst Du aber wohl einen großen Theil der Schuld tragen und durch allerhand – verzeihe das Wort - Unsinnigkeiten Dein Zahnweh verschlimmert haben: wirst vermuthlich wieder wacker mit bloßen Füßen umherpromenirt und mit Messer und Gabel, Nadel und Zunge in den Zähnen beschäftigt gewesen sein; wirst kein Brausepuver oder Cremor Tartari³, sondern wo möglich Wein oder Thee getrunken haben – und da soll denn ein doctornder Ehekrüppel nicht rasend werden, wenn seine Vorschriften und Rathschläge nicht helfen. – Du siehst, ich kann noch immer eine Standrede halten wenn’s noth thut [...] (14. Juni 1852)

Ich will Dich nicht mit Rechthaberei quälen, aber Du thätest gut, wenn Du in allen Gesundheitsfragen mehr auf Deinen Mann hörtest. Ich darf wirklich sagen, ich habe diese Fragen gründlich studirt und da unsre nervösen Organismen sich sehr ähnlich sehn, so weiß ich auch ziemlich genau immer was Du thun musst, weil ich eben genau weiß, was ich zu thun habe. (21.10.1868)

Auch in späteren Jahren bleibt Fontanes Verhältnis zur ärztlichen Kunst seiner Zeit ambivalent. So lesen wir in einem Brief an Mete über den Gesundheitszustand seiner Frau:

 

[...] wiewohl seit gestern Mittag auch ein besserer Zustand eingetreten ist. Diese Wandlung zum Beßren verdanken wir der Cognacflasche; die Medizin etc. versagte völlig [...]. (22.3. 1892)

Gotthard Erler führte seine Zuhörer auch in die wohl schwierigste Lebensphase des Dichters in seinem 72. Lebensjahr. In Selbstzeugnissen finden wir hier – noch vor Freud – die recht klare Beschreibung des Krankheitsbildes Depression. Hausarzt Dr. Delhaes rät dem Dichter aus therapeutischen Gründen, statt der stagnierenden Arbeit an „Effi Briest“ doch seine Lebenserinnerungen aufzuschreiben. Fontane wird später berichten, sich daran „gesund geschrieben“ zu haben. Doch dieser ärztlichen Empfehlung danken wir wohl nicht nur die bezaubernde Lektüre von „Meine Kinderjahre“ mit der liebevoll-nachsichtigen Beschreibung des Vaters, sondern später in „Effi Briest“ auch eine Versöhnung mit dem Apothekerberuf in der Person des Alonzo Gieshübler, den Fontane als „Schöngeist und Original und vor allem Seele von Mensch, was doch immer die Hauptsache bleibt“ beschreibt.

Mit großer Leichtigkeit (fast hörte man den Fontane’schen „Bummelton“) nahm uns Gotthard Erler nun mit auf seine Wanderung von diesem literarischen Werk zu anderen, in denen Fontane Ärzte und Apotheker gestaltete – und dies oft auf ganz besondere Weise. Offensichtlich hat Fontane sogar auf die Namen der Mediziner und Pharmazeuten besondere Mühe verwandt – so auf Dr Sponholz im „Stechlin“ (der im Dobbertiner Stiftsarzt einen Namensvetter hat), Dr. Schliephake in „Ellernklipp“ (der sich als Geflügelzüchter vor allem um die schwächlichen Exemplare kümmert und meint, die ganze Welt solle so regiert werden – und den Fontane sagen lässt „…auf das Herz kommt es an, das Herz entscheidet“), und schließlich Dr. Rummschüttel. („Effi lachte herzlich. »Rummschüttel! Und als Arzt für jemanden, der sich nicht rühren kann.«“) Dieser Dr. Rummschüttel ist es schließlich, der ihre Eltern bittet, Effi heimzuholen.

Doch Fontanes Meisterstück ist der Kessiner Apotheker. Ein biederer Zuname und ein exotischer Vorname machen ihn besonders – Effi selbst hilft dem Leser, dies zu entdecken:

 

„Und wenn ich mir so zurückrufe […], was ich alles erlebt habe […], so finde ich doch, daß wir immer das lieben, was liebenswert ist. Und dann sehe ich doch auch gleich, daß Sie anders sind als andere, dafür haben wir Frauen ein scharfes Auge. Vielleicht ist es auch der Name, der in Ihrem Falle mitwirkt. Das war immer eine Lieblingsbehauptung unseres alten Pastors Niemeyer; der Name, so liebte er zu sagen, besonders der Taufname, habe was geheimnisvoll Bestimmendes, und Alonzo Gieshübler, so mein ich, schließt eine ganz neue Welt vor einem auf“ […]. Gieshübler hätte nun am liebsten gleich eine Liebeserklärung gemacht und gebeten, daß er als Cid oder irgend sonst ein Campeador für sie kämpfen und sterben könne. Da dies alles aber nicht ging und sein Herz es nicht mehr aushalten konnte, so stand er auf, suchte nach seinem Hut, den er auch glücklicherweise gleich fand, und zog sich, nach wiederholtem Handkuß, rasch zurück, ohne weiter ein Wort gesagt zu haben.

Gotthard Erler ist es in seinem Vortrag gelungen, seine Zuhörer anzuregen - sich schmunzelnd an Fontane-Lektüre zu erinnern, bisher Unbekanntes zu erfahren und Bekanntes im anderen Zusammenhang neu zu sehen. Und sicher ist die Rezensentin nicht die Einzige in der Zuhörerrunde, die sich in Vorbereitung auf diesen Bericht das eine oder andere Werk des Romanciers, den einen oder anderen Briefwechsel aus dem Regal genommen hat, um nach- und weiterzulesen.

Gabriele Liebenow

¹ Gotthard Erler, geb. 1933 in Meerane/Sachsen, Studium der Germanistik in Leipzig, u. a. bei Hans Mayer und Hermann August Korff, seit 1964 leitender Mitarbeiter des Aufbau-Verlages und dessen Geschäftsführer von 1990 bis 1998, lebt in Berlin. Seine jahrzehntelangen Forschungen zu Fontane und die Fülle seiner Editionen haben an der Verbreitung dieses Werks und der Erschließung der Fontaneschen Biographie einen hervorragenden Anteil. (Quelle: Homepage des Aufbau-Verlags)

² Der Schritt vom Wege Deutschland 1939 (Regie Gustaf Gründgens; Marianne Hoppe als Effi); Rosen im Herbst BRD 1955 (Regie Rudolf Jugert; Ruth Leuwerik als Effi); Effi Briest DDR 1968 (Regie Wolfgang Luderer; Angelica Domröse als Effi); Fontane Effi Briest BRD 1974 (Regie Rainer Werner Fassbinder; Hanna Schygulla als Effi); Effi Briest Deutschland 2009 (Regie Hermine Huntgeburth; Julia Jentsch als Effi)

³ Weinstein, wirkt harntreibend, mindert den Appetit, wirkt gegen Entzündungen und reinigt die Zähn

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Die nächste Veranstaltung unseres Freundeskreises verspricht, eine ganz besondere zu werden. Wir haben Gotthard Erler* eingeladen, der sich – aus Dobbertiner Sicht – vor allem mit der Neuedition des Briefwechsels zwischen Theodor Fontane und Mathilde von Rohr verdient gemacht hat. Darüber hinaus sind dank seiner Herausgabe nicht nur weitere auf Dobbertin bezogene Fontane-Texte nun allgemein zugänglich – Herr Dr. Erler wird auch als Autor des Fontane-Parts in dem Buch über Kloster Dobbertin, das derzeit vorbereitet wird, in Erscheinung treten.

Doch Gegenstand des Vortrags, auf den wir uns freuen können, wird (noch) nicht die enge Freundschaft des Dichters mit „unserer“ Konventualin sein, sondern ein anderes Thema, das Theodor Fontane zeitlebens auf ganz unterschiedliche Weise beschäftigt hat – die Ärzte und die Apotheker.

Wir freuen uns mit Ihnen auf einen informativen und kurzweiligen Sommerabend im Kloster Dobbertin!

29. August 2009, 17.00 Uhr, Refektorium im Kreuzgang

Gotthard Erler, Berlin:

Theodor Fontane, die Ärzte und die Apotheker

*Gotthard Erler, geb. 1933 in Meerane/Sachsen, Studium der Germanistik in Leipzig, u. a. bei Hans Mayer und Hermann August Korff, seit 1964 leitender Mitarbeiter des Aufbau-Verlages und dessen Geschäftsführer von 1990 bis 1998, lebt in Berlin. Seine jahrzehntelangen Forschungen zu Fontane und die Fülle seiner Editionen haben an der Verbreitung dieses Werks und der Erschließung der Fontaneschen Biographie einen hervorragenden Anteil. (Quelle: Homepage des Aufbau-Verlags)