Theodor-Fontane-Freundeskreis M/V – Kloster Dobbertin
Mitglied in der Theodor Fontane Gesellschaft e.V.
       


 


„Was mit Bismarck Zusammenhang hat, ist immer interessant.“1

Oberkirchenrat Rainer Rausch interessiert sich seit langem für die ambivalente Beziehung zwischen Theodor Fontane und Otto von Bismarck. Zusammen mit seiner Nichte Michaela hat es unser Referent verstanden, dieses Interesse auf die zahlreichen Zuhörer zu übertragen, die der Einladung des Freundeskreises zur ersten Veranstaltung im Jahr 2011 gefolgt waren.

Persönliche Kontakte, so stellten Rainer und Michaela Rausch klar, hat es zwischen dem märkischen Dichter und dem Reichskanzler zwar nicht gegeben - wenn auch die Fontanes häufig unter den begeisterten Zuhörern zu finden waren, wenn Bismarck im Reichstag sprach. Und immerhin kam der 1870 in Domrémy verhaftete und fälschlich der Spionage bezichtigte Fontane auf Intervention Bismarcks aus der französischen Gefangenschaft  frei.

Dennoch ist die Beziehung Fontanes zu Bismarck sehr wohl eine persönliche. So berichtet Tochter Mete an Bismarcks Todestag: „Papa sitzt und weint, was ich sehr begreife.“2 Fontane trauert. Briefe und andere Äußerungen belegen, dass der Märker den Politiker Bismarck lange Zeit uneingeschränkt bewunderte – wenn auch der Mensch Bismarck dieses Heldenbildnis nicht unerheblich relativierte. Anlässlich der Festlichkeiten zum 80. Geburtstag des Altkanzlers hatte sich Fontane in einem Brief an seine Tochter über die Begeisterung gefreut, die Bismarck zuteil geworden war. Doch er hatte auch notiert:
„Diese Mischung von Übermensch und Schlauberger, von Staatengründer und Pferdestall-Steuerverweigerer […], von Heros und Heulhuber, der nie ein Wässerchen getrübt hat, erfüllt mich mit gemischten Gefühlen und läßt eine reine helle Bewunderung in mir nicht aufkommen. Etwas fehlt ihm und gerade das, was recht eigentlich die Größe leiht.“3

Und doch, so analysierten unsere Referenten, wird Otto von Bismarck in einem sehr persönlichen Gedicht Fontanes fast zum Symbol: In „Ja, das möcht’ ich noch erleben“ sind Bismarck (im „Großen“, Politischen) – und Fontanes Enkel (im „Kleinen“, Familiären) – allemal Grund genug, auch als alter Mensch trotz aller Abgeklärtheit weiter neugierig zu bleiben und Anteil an der Welt zu nehmen.

Nun, nach dem Tod des Bewunderten und Gescholtenen, regt Friedrich Fontane den Vater an, sich in dem Streit darüber zu Wort zu melden, an welchem Ort Bismarck seine letzte Ruhe finden solle. Kaiser Wilhelm II. hatte die Absicht geäußert, den früheren Kanzler in der Fürstengruft der Hohenzollern im Berliner Dom beisetzen zu lassen – im Gegensatz zur Familie von Bismarck, die den Verstorbenen in Friedrichsruh zu beerdigen gedachte.
Auf der Titelseite der „Vossischen Zeitung“ erscheint denn auch Fontanes Gedicht:

„Wo Bismarck liegen soll
(Geschrieben am 31. Juli 1898)

Nicht in Dom oder Fürstengruft,
Er ruh in Gottes freier Luft
Draußen auf Berg und Halde,
Noch besser tief, tief im Walde;
Widukind lädt ihn zu sich ein:
„Ein Sachse war er, drum ist er mein,
Im Sachsenwald soll er begraben sein.“
Der Leib zerfällt, der Stein zerfällt,
Aber der Sachsenwald, der hält,
Und kommen nach dreitausend Jahren
Fremde hier des Weges gefahren
Und sehen, geborgen vorm Licht der Sonnen,
Den Waldgrund in Epheu tief eingesponnen
Und staunen der Schönheit und jauchzen froh,
So gebietet einer: „Lärmt nicht so;
Hier unten liegt Bismarck irgendwo.“4

Rainer Rausch und seine Nichte erinnerten nicht nur an dieses letzte Bismarck-Gedicht Theodor Fontanes. Sie verwiesen auch auf die darin versteckte Kritik des Dichters gegen den Bismarck-Widerpart Wilhelm II.
Die Familie derer von Bismarck hat es dem Autor gedankt – die letzten sieben Zeilen des Gedichts sind nun am Mausoleum in Friedrichsruh nachzulesen.

Nach dieser Betrachtung der Fontane’schen Reaktion auf den Tod des verehrten Altkanzlers nahmen uns die Referenten mit in die „eigentliche“ Bismarck-Zeit – in die Zeit des großen Romanciers Theodor Fontane. Anhand der Romane „Cécile“, „Irrungen, Wirrungen“, „Effi Briest“ und vor allem „Der Stechlin“ erfuhren die aufmerksamen Zuhörer, dass Fontane stets auch seiner Zeit den Spiegel vorhält – der von Bismarck geprägten Ära nach der Reichsgründung mit all ihren Hoffnungen und Widersprüchen. Nie hat es der Autor versäumt, seinen Protagonisten auch Bismarck-Ideen, Bismarck-Kontroversen in den Mund zu legen, diese mit literarischen Mitteln zu werten oder sogar in seiner Weise auf sie zu antworten.5
So mahnte Bismarck in der Rede anlässlich seines 80. Geburtstages die Zuhörer:

„Halten wir, was wir haben, vor allen Dingen, ehe wir Neues versuchen.“6

Im „Stechlin“ lässt der alte Fontane diese Mahnung zunächst durch Lorentzen aufnehmen:

„Lieber mit dem Alten, soweit es irgend geht, und mit dem Neuen nur, soweit es muß.“7

Doch Melusine ist es vorbehalten, die eigentliche Replik Fontanes auf Bismarck zu formulieren und das zu sagen, was wir inzwischen als geflügeltes Wort kennen:

 „Alles Alte, so weit es Anspruch darauf hat, sollen wir lieben, aber für das Neue sollen wir recht eigentlich leben.“8

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Soweit Schwerpunkte aus dem Vortrag von Rainer und Michaela Rausch – und Gedanken der Rezensentin, die sich wie immer erlaubt hat, angeregt vom Vortrag weiterzustöbern.
Die Akteure des 12. März 2011 werden es ihr nachsehen – ist es doch demnächst dankenswerterweise möglich, ihren Vortrag im Wortlaut nachzulesen: in Heft 10 der „Dobbertiner Manuskripte“.

Gabriele Liebenow

1 Fontane 1884, zitiert u. a. bei Hans-Jürgen Perrey. Empfehlung zum Weiterlesen: Hans-J. Perrey: Fontane und Bismarck. Eine Erzählung. Schwanen-Verlag 2006.
2 Martha Fontane an Anna Witte, 31. Juli 1898. Zitiert nach: Kurt Schreinert: Allerlei Ungedrucktes über und von Theodor Fontane. In: Jahrbuch der Deutschen Schillergesellschaft IV, 1960, S. 377-399.
3 Theodor Fontane: Werke, Schriften und Briefe. Hrsg. von Walter Keitel u. Helmuth Nürnberger. Abt. IV, Bd. 4. Hanser, München 1969-1997, S. 440.
4 Theodor Fontane: Gedichte. Hrsg. von Joachim Krueger und Anita Golz, Bde. 1-3. Aufbau-Verlag Berlin, 2. Aufl. 1995. Bd. 2, S. 97.
5 Die folgenden Gedanken lehnen sich an Klaus-Peter Möller: Einleitung zu: Theodor Fontane. Ein deutscher Dichter im 19. Jahrhundert. Hrsg. v. Medienpädagogischen Zentrum Brandenburg 2001.
Dieser Veröffentlichung folgen auch die meisten Zitate der vorliegenden Rezension.
6 Die politischen Reden des Fürsten Bismarck. Hrsg. von Horst Kohl. 13 Bde. Cotta, Stuttgart/ Berlin 1892-1905. Bd. 13, S. 317.
7 Theodor Fontane: Der Stechlin. F. Fontane & Co, Berlin 1899, S. 35.
8 Theodor Fontane: Der Stechlin, Berlin: F. Fontane & Co., 1899, S. 354f.

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12. März 2011, 17.00 Uhr
im Konventsaal des Klosters Dobbertin

Michaela und Rainer Rausch, Stuttgart/Alt Meteln:
„Was mit Bismarck Zusammenhang hat, ist immer interessant.“
Theodor Fontane und der deutsche Kanzler.


Gemälde von Franz von Lenbach, 1894

Die 15-Jährige Michaela Rausch und Oberkirchen-rat Rainer Rausch lassen uns teilhaben an ihrer Deutung dieser wichtigen Façette der Zeit-geschichte – und wie sich die Haltung zu Otto von Bismarck in Werk und Selbstzeugnissen Theodor Fontanes spiegelt.