Theodor-Fontane-Freundeskreis M/V – Kloster Dobbertin
Mitglied in der Theodor Fontane Gesellschaft e.V.
       


 


24. März 2012, Klaus-Peter Möller, Potsdam:
Liebstöckel und Wacholder.
Zur Pflanzensymbolik in Theodor Fontanes erzählerischen Werken

Am Ende des Vortrags bedankte sich Klaus-Peter Möller bei seinen Eltern, die den Ausführungen ihres Sohnes zusammen mit den anderen Gästen aufmerksam gefolgt waren. Wie schade wäre es gewesen, hätten sie nicht beizeiten auch die Liebe zur Flora in ihrem Sohn geweckt! Den Zuhörern, die den Weg zur ersten Veranstaltung unseres Freundeskreises gefunden hatten, wäre ein reizvoller und anregender  Nachmittag entgangen.

Einmal mehr erfuhren die Besucher im Dobbertiner Konventsaal, wie vielschichtig Theodor Fontane seine Texte angelegt hat – aber auch, wie viel Freude es macht, diese Schichten zu entdecken, wenn ein Kenner wie unser Referent gleichsam den Schlüssel dazu bereithält.

Zunächst rief Klaus-Peter Möller ins Gedächtnis, in wie vielen Fontane-Werken Personen vorkommen, deren Wissen um Pflanzen die Grauzone zwischen Zauberei, Volksmedizin und Pharmazie bewohnt – und dass der Dichter diesen Gestalten seine Sympathie durchaus nicht versagte. Dies bei aller Differenziertheit – lebte der approbierte Apotheker Fontane doch in einer Zeit, in der sich die pharmazeutische Wissenschaft durch vielfältige Regularien und Standesrichtlinien gerade von der Volksmedizin abgegrenzt hatte.
So grenzte auch Fontane sich von seinen Gestalten ab – nicht wenige bewegen sich ja in der Grauzone zu Zauberei und Kriminalität wie Hoppenmarieken in „Vor dem Sturm“ – und dennoch respektierte er ihr Wissen um die Heilkunst, wie das der Buschen im „Stechlin“, von der der alte Dubslaff sagt „Wenn einem einer hilft, is das andere alles gleich.“ (Und die alte Buschen hat Klaus-Peter Möller auch auf das Motto seines Vortrags gebracht: „Un denn de Lüd, de denken ümmer, ick kann hexen und all so wat. Ick kann awer joar nix un hebb man blot en beten Liebstöckel un Wacholder un Allermannsharnisch.“)

Doch was hat es nun mit der Pflanzensymbolik bei Theodor Fontane auf sich? Zum einen charakterisierte  der Dichter schon mit der Auswahl der hier genannten Kräuter (bodenständig, heilsam bei vielen Gebrechen, aber auch genutzt für Liebes- und andere Zauber) zugleich die geheimnisvolle, zwiespältige Rolle der solcherart beschriebenen Personen. Zum anderen gesteht er manchen Pflanzen selbst eine eigenständige symbolische Bedeutung zu. So ist Enzian bei Fontane nicht selten ein Todesbote  - wie er auch gerade Enzian auf das Grab seines Sohnes George gelegt hat.
Besonders anrührend auch die Geschichte mit dem Heliotrop im Garten der alten Briests. In einem der Beete wächst Heliotrop; in der Mitte steht eine Sonnenuhr. Nun holt Klaus-Peter Möller weit aus und beschreibt die Geschichte von Klythia aus Ovids „Metamorphosen“: die vom Sonnengott Helios zugunsten ihrer Konkurrentin Leukothoe Verschmähte berichtet deren Vater von der Liaison zwischen beiden. Voller Zorn begräbt dieser seine Tochter bei lebendigem Leibe. Doch der Weg zum Sonnengott bleibt Klythia dennoch versperrt – er verübelt ihr den Verrat, worauf sie traurig weder isst noch trinkt, sondern viele Tage und Nächte auf einem Felsen sitzt, ihr Gesicht beständig der Sonne zugewandt. Die Götter erbarmen sich und verwandeln sie in eine „Sonnenblume“ (jedoch nicht in die zu antiker Zeit unbekannte Helianthus, sondern in Heliotrop) – so kann sie in alle Ewigkeit  den Sonnenwagen mit ihren Blicken verfolgen. – Nach Effis Tod ersetzen die Eltern die Sonnenuhr in der Mitte des Heliotrop-Beetes durch Effis Grabstein.

Klaus-Peter Möller fügt Fontanes Spiel mit Symbolen und mit sinnlicher Wahrnehmung der Pflanzen einen weiteren Aspekt hinzu – sein Spiel mit dem „Klang“ der Pflanzen, den Namen selbst. Er führt viele Beispiele an; besonders eindrücklich jedoch erscheint hier ein Gespräch zwischen Lene Nimptsch und Botho von Rienäcker aus „Irrungen, Wirrungen“. In der Nähe von Hankels Ablage findet er keine Blumen für sie – doch Lene verweist auf viele Wiesenkräuter, „… man muß nur ein Auge dafür haben“. Es entspinnt sich ein scheinbar botanischer, jedoch auch hochsymbolischer Dialog um diesen ungewöhnlichen Strauß. Viele Pflanzen werden genannt und bewertet – nicht nur im Hinblick auf ihre Geeignetheit für einen Strauß, sondern auch in ihrer metaphorischen Bedeutung. So die Immortellen, die nicht nur Mutter Nimptsch, sondern auch Fontane selbst offensichtlich besonders mag, so das „echte“ und das „falsche“ Vergissmeinnicht, so aber auch Ehrenpreis. Lene sagt: “Die wirst du ja wohl gelten lassen“ – und der Name Ehrenpreis hatte für von Rienäckers Ohren gewiss einen guten Klang. Doch Fontane war sicher bewusst, dass der zweite Name dieser Pflanze, nämlich Männertreu, den Lesern seiner Zeit ebenso geläufig sein konnte wie ihm selbst….

Ja – wir haben einen anregenden Nachmittag erlebt, und dies in vielerlei Hinsicht. Die Anregung, genau hinzuhören, wenn uns Fontane in seinem Werk gegenübertritt, die Anregung, sich auf originelle Blickwinkel einzulassen, die auch dem kundigen Fontane-Leser neue Bedeutungsebenen erschließen – und vor allem die Anregung, auch vermeintlich bekannte Fontane-Texte erneut zur Hand zu nehmen. Genau diese Absicht äußerten sehr viele Besucher nach dem gelungenen Vortrag, für den wir Herrn Möller herzlich danken!

Gabriele Liebenow


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Sonnabend, 24.03.2012
Konventsaal des Klosters Dobbertin 

Klaus-Peter Möller, Theodor-Fontane-Archiv Potsdam:
Liebstöckel und Wacholder.
Zur Pflanzensymbolik in Theodor Fontanes erzählerischen Werken

Ein Thema, sehr passend zum Frühlingsbeginn!

Fontanes Prosa erscheint dem interessierten Leser häufig wie mit leichter Hand verfasst, beinahe in dem „Bummelton“, den der Dichter gern für sich in Anspruch nahm. Und doch sind seine Texte besonders kunstvoll komponiert und erschließen sich in ihrer Vielschichtigkeit erst beim zweiten Hinsehen.

Klaus-Peter Möller lädt uns auf eine Entdeckungsreise der besonderen Art ein und eröffnet damit den Reigen der diesjährigen Veranstaltungen unseres Freundeskreises.